Mit Feder und Verstand
  Partygänger
 

Partygänger


Svenja schwang ihre Beine über den Fenstersims und sprang auf die Straße unter dem Fenster im Erdgeschoss. Daniela, die auf der anderen Straßenseite wartete, streckte einen Daumen in die Luft und nickte ihrer Freundin zu, damit diese sich beeilte.
Svenja schaute noch einmal zurück in das dunkle Wohnzimmer ihrer Eltern, dann eilte sie zu Daniela und die beiden gingen rascher Schritte zum Ende der Straße.
„Brauchst kein schlechtes Gewissen haben“, meinte Daniela und lächelte ihrer Freundin zu. Svenja zuckte mit den Achseln und vergrub die Hände in den Jackentaschen.
An der nächsten Straßenecke bogen sie in die Hauptstraße des kleinen Ortes und hielten bei einer Bushaltestelle.
Ihre Atemluft sprang in kleinen Wölkchen aus ihren Mündern und die beiden Mädchen froren in der kalten Dezembernacht.
Daniela sah ungeduldig auf ihre Armbanduhr und trat von einem Fuß auf den anderen.
„Der soll mal kommen“, murrte sie, als die beiden schon fünfzehn Minuten warteten.
„Hast du ihm auch die Bushaltestelle gesagt?“, fragte Svenja. Daniela sah sie genervt an.
„Klaro.“
Kurze Zeit später, sie mussten noch mindestens weitere zehn Minuten gewartet haben, denn Daniela hatte schon begonnen ihren Fahrer zu verfluchen und mehrmals geschworen, ihm eigenhändig den Kopf abzureißen, sollte er überhaupt noch kommen, bog der dunkelgrüne Wagen um die Ecke und Cedric, ihr Fahrer, beugte sich lachend aus dem Fenster, war Danielas schlechte Launen schlagartig verflogen.
„Springt rein, Mädels“, forderte er sie auf und beinahe zeitgleich ging die Hintertür auf. Daniela ging um den Wagen herum und setzt sich auf den Beifahrersitz, während Svenja auf der Rückbank Platz nahm.
„Das ist Ronnie“, stellte Cedric den Jungen vor, der hinter dem Fahrersitz saß und Svenja die Tür aufgemacht hatte. Cedric zwinkerte Ronnie durch den Rückspiegel zu und fuhr dann los. Ronnie grüßte Svenja kurz, zeigte dann auf den Fahrer und bedeutete ihr, dass Cedric ein wenig durchgedreht sei. Svenja konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Daniela hatte schon viel von Cedric erzählt – Gutes und Schlechtes – und sie hatte nicht untertrieben.
„Party now!“, frohlockte Cedric und drehte das Autoradio auf, aus dem nun wilde Technomusik dröhnte.
Ronnie drückte sich in den Sitz und starrte nur gelangweilt aus dem Fenster, während Daniela auf dem Vordersitz sich heftig im Rhythmus der Musik zu bewegen begann.
Die Fahrt dauerte nicht lange, führte aber über dunkle Landstraßen, durch den nächsten Ort und schließlich endete der holprige Weg, auf dem sie zuletzt gefahren waren, bei einem kleinen Gebäude.
Cedric parkte den Wagen auf dem schmalen Parkplatz und schaltete die Musik aus. Dann stiegen sie alle aus.
Das Gebäude war niedrig, hatte nur ein Stockwerk und ein flaches Dach. Die Fenster waren dunkel. Doch zu ihnen drangen Basstöne und hinter verhangenen Kellerfenstern sah man bunte Lichter blitzen.
„Dann woll’n wir mal, was?“, stellte Cedric fest und ging zielstrebig auf einen Nebeneingang des Gebäudes zu, an dem ein junger, recht bulliger Mann stand und sie erst einmal kritisch musterte.
Cedric zeigte seinen Ausweis vor und erklärte dann, dass die anderen drei zu ihm gehörten.
„No Alk“, brummte der Mann noch, als er sie vorbei ließ. 
Sie gingen eine enge Treppe hinunter, der Bass wurde immer lauter und langsam war auch eine Melodie herauszuhören. Am Treppenabsatz angekommen, fanden sie sich in einem dichten Gedränge aus Tanzenden wieder.
Cedric nahm Daniela an der Hand und führte sie in die Mitte der Tanzfläche, während Ronnie irgendwo zwischen den Menschen verschwand. Svenja stand einige Momente unentschlossen herum. Die Musik war so laut, dass sie kaum ihre eigenen Gedanken verstand, der Bass wummerte ihr im Magen.
„Willste tanzen?“ Svenja wandte sich zum einem schlaksigen Jungen um, der sie angrinste. Kaum hatte sie zustimmend genickt, tanzte sie auch schon und verdrängte die Sorge, dass ihre Eltern herausfinden könnten, wo sie gerade war.
Svenja bewegte sich zum Takt, schmiss die Haare von einer Seite zur anderen und fühlte sich, als habe sie noch nie solch einen Spaß gehabt.
Lied für Lied tanzte sie, bald hatte der Schlaksige mit seinem Freund, einem Jungen mit seltsam grünen Augen, getauscht und als etwas Rockigeres aufgelegt wurde, begannen sie wild auf und ab zu springen.
Svenja hätte nicht sagen können, wie lange sie getanzt hatte, doch der Durst trieb sie bald an die Bar.
Der grünäugige Junge lud sie auf eine Cola ein. Im indirekten Licht der Theke konnte Svenja ihren Tanzpartner genauer begutachten, fand aber, dass er ihr außerhalb der Disco sicher niemals aufgefallen wäre und auch nicht besonders gut aussah. Deshalb ging sie nach der Cola mit ihm auch nicht wieder auf die Tanzfläche und blieb an der Bar stehen, während sie die wild Hüpfenden im wechselnden Scheinwerferlicht beobachtete.
„Ganz meine Meinung, Tanzen ist zu anstrengend.“
Ronnie stellte sich neben sie und ließ den Blick über die Menge schweifen. Svenja sah zu ihm hinüber und hob die Augenbrauen.
„Aber das ist doch der Zweck einer Disko. Hier soll man tanzen.“
Ronnie lachet kurz und nahm dann einen Schluck von seiner Fanta.
„Eigentlich nicht.“
Svenja schaute interessiert. „Und welcher dann?“
Ronnie erwiderte ihren Blick und legte den Kopf ein wenig schräg. „Was glaubst du, warum hier eine so große Bar steht?“
Svenja sah auf ihr Glas. „Na gut, gewonnen.“
Sie standen einige Minuten schweigend nebeneinander, bis Daniela zu ihnen kam und an der Theke zwei Caribbean Honey bestellte. Ronnie schaute missbilligend.
Daniela lachte quietschend, als Svenja mehr aus Jux fragte, wie es denn so mit Cedric liefe.
Mit zwei Gläsern, die bis zum Rand mit gelber, zäher Flüssigkeit angefüllt waren und an deren Rändern je eine Scheibe Limette thronte, drückte sich Daniela wieder durch die Tanzenden.
„War das-“
„Jap“, gab Ronnie schnell zur Antwort.
Durch die Cola, die Svenja immer wieder von Ronnie spendiert bekam, bemerkte sie kaum die Müdigkeit, die sich langsam und schwer auf sie nieder ließ.
„Ich muss hier raus“, meinte Ronnie nach dem fünften Glas Fanta und nickte in Richtung Ausgang. „Kurz eine rauchen. Kommst du mit?“
Zusammen kämpften sie sich zur Treppe durch und stiegen eilig die wenigen Betonstufen empor, um am mürrischen Türsteher vorbei ins Freie zu gelangen.
Ronnie und Svenja umrundeten das Gebäude und verscheuchten ein Liebespaar, das an die Wand gelehnt geknutscht hatte.
„Macht das zu Hause“, meinte Ronnie, als die beiden ärgerlich und Hand in Hand Platz machten.
Svenja ließ sich an der Wand entlang hinunter gleiten, setzte sich ins Gras und lehnte den Kopf gegen die Hauswand. Ihr war etwas schlecht und ihr Kopf wummerte.
„Man möchte fast meinen, die Musik mache einen krank“, sagte Ronnie und hockte sich neben Svenja.
„Ich dachte du wolltest eine rauchen.“
Ronnie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich rauche nicht.“
„Wieso bist du eigentlich mitgekommen, wenn du Diskotheken gar nicht magst?“
Er zuckte mit den Schultern. „Gruppenzwang.“
„Daniela hat mir das ganze hier in den höchsten Tönen angepriesen.“
„Und? Hatte sie recht?“
Svenja streckte die Beine aus. „Keine Ahnung.“
„Du musst dazu doch eine Meinung haben.“
„Tanzen ist schon spitze.“
Ronnie machte „Hm“ und zog aus seiner Jackentasche ein Handy. „Mal sehen ob unser werter Cedric sein Telfon in dem ganzen Gewirr hört.“
Er tippte eine Nummer ein und hielt sich das Handy ans Ohr, wobei er ein interessiert wartendes Gesicht machte.
„Wie ich gesagt habe“, meinte er nach einer Weile. „Mailbox.“
„Wie viel Uhr haben wir denn?“
„Kurz nach zwei.“
Svenja seufzte. „Na super.“
Während die beiden warteten, unterhielten sie sich ein wenig über die verschiedensten Dinge. Ronnie wurde Svenja immer sympathischer und das nicht nur, weil er von Diskotheken und Alkohol wenig hielt. Er und Svenja waren sich ähnlicher als sie anfangs gedacht hatte.
Cedric und Daniela kamen eng umschlungen aus der Disko und gingen lachend und auch leicht taumelnd zum Auto.
„Hey, Ced!“, rief Ronnie und erhob sich. „Du kannst aber nicht mehr fahren.“ Er wollte schon hinlaufen, da hob Cedric nur lachend den Arm zum Abschied und stieg ein. Als die Lichter des Wagens angingen, rannte Ronnie los, um die beiden aufzuhalten, doch er war zu langsam. Langsam verschwand das dunkelgrüne Fahrzeug in der Nacht.
„Idiot“, zeterte Ronnie und fasste sich besorgt an die Stirn.
„Wie kommen wir denn jetzt nach Hause?“
„Taxi, anders geht es wohl nicht“, stellte Ronnie fest. Svenja runzelte die Stirn.
„Ein Taxi? Hier in der Pampa?“
„Naja, oder laufen.“
„Daniela hat mal von einem Fahrdienst erzählt.“ Ronnie schlug sich mit der Hand an den Kopf.
„Total vergessen. Ich benutze den nämlich nie.“
Sie gingen zurück zum Türsteher, der ihnen erklärte, dass der Fahrdienst alle Stunde fuhr und es gleich drei sei.
Der Fahrdienst war ein kleiner Bus mit neun Sitzen und einem aufgedrehten Fahrer, der sich ihnen als Karsten vorstellte.
In Svenja ballte sich Wut auf Daniela, die sie dazu gebracht hatte, von Zuhause auszureißen und mit in die Disko zu gehen. Ihre Eltern würden sie vierteilen vor Wut, wenn sie das erfuhren und Svenja hätte bis zur Volljährigkeit Hausarrest.
Und dann diese blöde Cedric. Sie konnte nur froh sein, dass Ronnie kein solcher Idiot war.
Es stiegen noch einige Jugendliche zu, einer davon war betrunken und musste von seiner Begleiterin gestützt werden, die Ronnie bat ihr zu helfen den Jungen in den Wagen zu bekommen.
Nachdem sie den Betrunkenen umständlich in den kleinen Bus gebracht hatten und anschnallten, ließ ´Karsten den Motor an.
Sie fuhren jeden ort in der Umgebung an und nutzen glücklicherweise die geteerten Landstraßen, denn Karsten hatte die Befürchtung, dass der betrunkene Junge sich sonst übergeben würde.
Nach einer dreiviertel Stunde erreichten sie Svenjas Heimatort. Sie verabschiedete sich von Ronnie und bedankte sich beim Fahrer, bevor sie die wenigen Straßen nach Hause rannte.
Der Schreck durchfuhr sie, als sie sah, dass das Wohnzimmerfenster geschlossen war und im ganzen unteren Stockwerk Licht brannte.
Svenja schluckte schwer und klingelte dann vorsichtig an der Tür.
Ihr Vater öffnete. Svenja sah ihn entschuldigend an. Ihre Mutter kam auf den Flur, und als sie ihre Tochter vor der Tür erkannte, rannte sie zu ihr und umarmte sie fest. Tränen nässten Svenjas Schulter und ihre Mutter schluchzte.
„Gott sei dank“, sagte ihre Mutter immer wieder. „Dem Himmel sei dank.“
Verwirrt sah Svenja ihren Vater an. Sie erwartete eine Standpauke, Geschrei, Ärger, aber nicht das.
„Komm erst einmal rein“, meinte ihr Vater und schloss dann die Tür hinter ihnen. Svenjas Mutter führte sie ins Wohnzimmer und setzte sich mit ihr auf das Sofa.
Das Telefon war auf den Couchtisch gestellt worden, ein aufgeschlagenes Telefonbuch und Svenjas Adressbuch lagen daneben.
„Was...“ Svenja versagte die Stimme. Sie sah von ihrer Mutter, die sich die Tränen wegwischte, zu ihrem Vater, dessen Gesicht so besorgt war, dass sie schon fast Angst bekam.
„Ich weiß, ich hätte nicht-“
„Svenja, Daniela und dieser Junge hatten einen Autounfall.“
Ihr stockte der Atem.
„Was?“
„Der Junge war offensichtlich stark angetrunken und sie hatten einen Zusammenprall mit einem anderen Wagen.“
Ihr Vater erzählte das wie ein Nachrichtensprecher. Distanziert, kalt, ausdruckslos.
„Aber... sind sie... ist Daniela...“
„Sie ist schwer verletzt im Krankenhaus, mehr wissen wir auch noch nicht. Der Junge hat es nicht überlebt.“
Svenja starrte auf ihre Hände. „Ich hätte auch in diesem Auto sein können.“
Ihre Mutter fiel ihr erneut schluchzend um den Hals. „Ich könnte jetzt tot sein.“

© Bianca Klose
2007
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